Wenn du Erdgas aus der Leitung nutzt, um zu kochen, zu heizen oder dein Auto zu betanken, dann ist das fast immer reines Methan. Doch das Gas, das aus dem Boden kommt, ist nicht so rein. Rohes Erdgas enthält oft auch andere Kohlenwasserstoffe - unter anderem LPG. Doch warum wird LPG aus Erdgas entfernt? Die Antwort hat weniger mit Reinheit zu tun als mit Sicherheit, Effizienz und Technik.
Was ist LPG eigentlich?
LPG steht für Flüssiggas, genauer: Liquefied Petroleum Gas. Es ist keine einzige Substanz, sondern eine Mischung aus Propan und Butan - oft zu 60:40 oder 70:30. Diese Gase sind bei Raumtemperatur gasförmig, aber sie lassen sich leicht unter Druck verflüssigen. Deshalb werden sie in roten Gasflaschen gelagert, die du auf Campingplätzen oder in ländlichen Gebieten siehst.
Im Erdgasvorkommen ist LPG ein Nebenprodukt. Es entsteht zusammen mit Methan, wenn organische Materie über Millionen Jahre unter hohem Druck und Temperatur zersetzt wird. In einigen Feldern, besonders in Norddeutschland oder bei Offshore-Bohrungen, kann bis zu 15 % des Rohgases aus LPG bestehen. Das klingt nach viel - und ist es auch. Aber es ist kein Vorteil, wenn es im Leitungsnetz bleibt.
Warum passt LPG nicht ins Erdgasnetz?
Deutschland hat ein riesiges Netz aus Leitungen, die Erdgas zu Haushalten, Industrie und Kraftwerken transportieren. Diese Leitungen sind auf ein spezifisches Gasdesign ausgelegt: Methan mit einem Wobbe-Index von etwa 48 MJ/m³. Der Wobbe-Index sagt aus, wie viel Energie ein bestimmtes Gasvolumen abgibt, wenn es verbrannt wird. Er ist entscheidend für die Funktion von Brennern, Heizkesseln und Gasherdplatten.
LPG hat einen Wobbe-Index von über 50 MJ/m³ - oft sogar bei 55. Wenn du LPG ins Erdgasnetz gibst, dann verbrennt es heißer und schneller. Ein Herd, der für reines Methan ausgelegt ist, könnte überhitzen. Ein Heizkessel könnte Schäden nehmen. Selbst die Sicherheitsventile sind nicht für diese erhöhte Energie dicht gemacht. In der Praxis: Es gibt Brände, Explosionen, defekte Geräte. Das ist kein Risiko, das ein Versorgungsunternehmen eingehen wird.
Technische Gründe: Kompressor und Rohrleitungen
Ein weiterer Grund ist die Dichte. LPG ist schwerer als Methan. Wenn es im Gasnetz bleibt, sammelt es sich in tiefen Punkten der Leitung - in Senken, Bögen oder an Ventilen. Dort kann es flüssig werden, besonders bei kaltem Wetter. Flüssiges LPG blockiert die Rohre. Es verursacht Druckabfälle, unterbricht die Versorgung und kann zu Korrosion führen, weil es Wasser und Schwefelverbindungen mit sich führt.
Die Kompressoren, die das Gas durch das Netz pumpen, sind auf leichtes Methan ausgelegt. Sie arbeiten mit geringem Drehmoment und niedrigem Druck. Wenn LPG mitkommt, müssen sie härter arbeiten. Das erhöht den Energieverbrauch, verschleißt die Motoren schneller und erhöht die Wartungskosten. Für ein Netz, das über 500.000 Kilometer Leitungen hat, ist das eine enorme Belastung.
Wirtschaftliche Gründe: LPG ist wertvoller als Methan
Warum entfernt man etwas, das man doch nutzen könnte? Weil man es besser nutzen kann - woanders. LPG ist ein wertvolles Produkt. Es wird als Kraftstoff für Autos, als Heizgas für ländliche Regionen, als Treibstoff für Gabelstapler und sogar als Treibmittel in Spraydosen verwendet. Der Preis für LPG liegt oft 20-40 % über dem Preis für Rohgas. Wenn du LPG aus dem Erdgas herausfilterst, kannst du es separat verkaufen. Das macht den Betrieb des Gasfeldes profitabler.
Ein Beispiel: Das Gasfeld in der Nordsee produziert jährlich etwa 1,2 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Davon sind 80 Millionen Kubikmeter LPG. Wenn man das LPG herauszieht und als Flüssiggas verkauft, ergibt das einen zusätzlichen Umsatz von über 100 Millionen Euro pro Jahr. Das ist kein Nebenverdienst - das ist ein Kerngeschäft.
Wie wird LPG aus Erdgas entfernt?
Der Prozess heißt Gasveredelung oder Gasaufbereitung. Er läuft in speziellen Anlagen, die direkt am Bohrloch oder in zentralen Verarbeitungszentren stehen. Die wichtigsten Schritte sind:
- Kühlung: Das Rohgas wird auf minus 30 bis minus 50 Grad abgekühlt. Bei diesen Temperaturen kondensieren Propan und Butan - sie werden flüssig.
- Abscheidung: Die flüssigen Kohlenwasserstoffe sinken ab und werden abgepumpt. Sie fließen in Tanks, wo sie gereinigt und verflüssigt werden.
- Reinigung: Restliche Verunreinigungen wie Schwefelwasserstoff oder Wasser werden mit chemischen Filtern entfernt. Das ist wichtig, um Korrosion zu verhindern.
- Methan-Rückgewinnung: Das übrig gebliebene Gas - jetzt fast reines Methan - wird in das öffentliche Netz eingespeist.
Diese Anlagen sind hochtechnisch. Sie nutzen Kryotechnik, Membranen und Adsorptionsverfahren. Einige moderne Anlagen in Niedersachsen oder Schleswig-Holstein können bis zu 98 % des LPG zurückgewinnen. Das ist nicht nur effizient - es ist auch umweltfreundlich. Denn wenn LPG nicht abgetrennt wird, könnte es bei Leckagen in die Atmosphäre entweichen. Propan und Butan sind Treibhausgase - und 25-mal stärker als CO₂.
Was passiert mit dem entfernten LPG?
Das abgetrennte LPG wird nicht weggeworfen. Es wird in Tanklaster gefüllt und zu Verteilzentren transportiert. Von dort geht es an:
- Haushalte in ländlichen Gebieten ohne Erdgasanschluss
- Industriekunden, die hohe Temperaturen brauchen - zum Beispiel in der Keramik- oder Glasproduktion
- Flottenbetreiber, die LPG als günstigen Kraftstoff für Busse oder Lieferwagen nutzen
- Landwirte, die damit ihre Lagerhäuser heizen
Einige Anlagen verkaufen das LPG sogar an Chemieunternehmen, die es als Grundstoff für Kunststoffe wie Polyethylen nutzen. Das ist die wahre Wertschöpfung: Aus einem Rohstoff wird nicht nur Energie, sondern auch Material für Tüten, Flaschen, Autoteile und Medizinprodukte.
Warum nicht einfach alles als LPG nutzen?
Man könnte denken: Warum nicht das ganze Gas als LPG verkaufen? Weil das nicht funktioniert. LPG braucht Drucktanks. Es lässt sich nicht einfach durch normale Leitungen pumpen. In Städten wie München, Berlin oder Hamburg gibt es über 20 Millionen Anschlüsse an das Erdgasnetz. Jeder davon - Herd, Boiler, Heizung - ist auf Methan ausgelegt. Um das ganze Netz umzubauen, müsste man Milliarden investieren. Und das lohnt sich nicht, wenn man stattdessen das LPG separat verkaufen kann.
Außerdem: LPG ist nicht ideal für Zentralheizungen. Es verbrennt mit einer blauen Flamme, aber sie hat eine höhere Temperatur als Methan. Das führt zu mehr Stickoxiden - Schadstoffen, die die Luft belasten. Methan verbrennt sauberer und stabiler in modernen Brennwertkesseln. Das ist ein klarer Vorteil für die Umwelt.
Was bedeutet das für Verbraucher?
Als Verbraucher merkst du nichts davon. Dein Gasheizung läuft genauso wie vor 20 Jahren. Dein Herd funktioniert ohne Probleme. Aber hinter den Kulissen arbeitet ein komplexes System, das sicherstellt, dass das Gas, das bei dir ankommt, genau das ist, was es sein soll: rein, sicher, effizient.
Die Entfernung von LPG ist kein technischer Zufall. Es ist eine bewusste Entscheidung, die auf Physik, Wirtschaft und Sicherheit basiert. Es ist ein Beispiel dafür, wie moderne Energieversorgung funktioniert: nicht durch Zufall, sondern durch Präzision. Und es zeigt, dass selbst ein scheinbar einfacher Stoff wie Erdgas ein komplexes Leben führt - von der Bohrung bis zur Herdplatte.
Was wäre, wenn LPG nicht entfernt würde?
Stell dir vor, kein Gasfeld würde LPG abtrennen. Dann würden:
- Haushalte mit Heizungsproblemen konfrontiert - Geräte überhitzen, Ventile lecken
- Gasversorger mit immer häufigeren Reparaturen kämpfen - Leitungen verstopfen, Kompressoren sterben
- Die Versorgungssicherheit leiden - es gäbe immer wieder Ausfälle, besonders im Winter
- Die Umweltbelastung steigen - LPG-Leckagen würden den Treibhauseffekt verstärken
- Die Kosten für Gas explodieren - weil die Infrastruktur ständig erneuert werden müsste
Das ist kein Szenario aus einem Science-Fiction-Film. Es ist die Realität, die vor 50 Jahren in vielen Ländern herrschte - bis man begann, Gas systematisch aufzubereiten.
Die Zukunft: Kann LPG wieder ins Gasnetz?
Heute diskutiert man über grünes Gas - Wasserstoff, Biogas, synthetisches Methan. Aber LPG wird nicht zurückkommen. Warum? Weil es nicht dazu passt. Selbst wenn wir künftig Biogas nutzen, wird man weiterhin LPG abtrennen - denn es ist wertvoller als Methan. Und neue Technologien wie Power-to-Gas produzieren nur Methan, kein Propan.
Die Zukunft liegt nicht darin, LPG ins Erdgasnetz zu bringen. Die Zukunft liegt darin, es gezielt dort einzusetzen, wo es am besten funktioniert: als sauberer, flexibler Brennstoff dort, wo das Erdgasnetz nicht hinkommt.